Ents
Die Ents oder Baumhirten wurden nach Tolkien auf Bitten
der Vala Yavanna (Aulës Frau) von Ilúvatar
zum Schutz der Olvar (d.h. Pflanzen, insbesondere Bäume) vor den
Bewohnern Mittelerdes geschaffen1.
Sie stellen eine Mischform zwischen Bäumen und humanoiden
Lebensformen dar. Dabei hat Tolkien das Bild bestimmter Feenwesen,
die Bäume nur bewohnen, bewusst ausgegrenzt und dem Baum
ein eigenes Leben gegeben: so sind die Ents, genau wie Orks,
vollständig körperliche Wesen. Die Herkunft ihres Namens
vom angelsächsischen Wort für "Riese"
unterstreicht dies2.
Im Gegensatz zu orcs und anderen nicht ganz menschlichen
Kreaturen wird hier aber explizit auf geschlechtliche
Fortpflanzung verwiesen: So sind die Entwives vor geraumer
Zeit spurlos verschwunden, und es wird darauf hingewiesen, dass
die Ents damit keine Chance auf Nachwuchs mehr haben. Tolkien
selbst weist auch hier auf ungeklärte Verhältnisse hin3
und schließt sich den Spekulationen seiner Leser über das
Schicksal der Ent-Frauen an, ganz so als ob er darüber
nicht mehr wüßte4.
Zwar berichtet Tolkien selbst, die Ents nicht bewusst
"erfunden" zu haben (vielmehr habe sich das Konzept
unbewusst in die Geschichte "eingeschlichen"5),
aber hauptsächlich verdanken die Ents ihre Existenz sicherlich
seiner Vorliebe für Bäume6.
Im Nachhinein bewertet er sie sogar als Ergebnis seiner
Unzufriedenheit mit Shakespeares Birnam Wood, der in "Macbeth"
gegen Dunsinane Hill marschiert. So sagt Tolkien selbst dazu:
"I longed to devise a setting in which trees might really
march to war."7
Auch ihre Umsetzung als geschlechtliche Wesen hat er bewusst
eingeführt, vermutlich um die Ents und Entwives mit ihren Bäumen
als eine Art Familie darzustellen8
(s.o.). Damit sind sie eindeutig seine genuine Schöpfung.
Besonders in der Ausmodellierung dieses Konzepts wird seine
Eigenständigkeit deutlich: So beschreibt er nicht nur die Ents
selbst, sondern auch noch eine Übergangsform zwischen Baum und
Ent: die Huorns sind schon so "tree-ish",
dass sie nur noch äußerst selten in Bewegung geraten9.
Auch Old Man Willow scheint ein Huorn zu sein und zeigt
deutlich nicht-"baumische" Fähigkeiten: So verfügt
er über eine mächtige Magie, mit der er näherkommende
Wesen wie die Hobbits in den Schlaf versetzen kann. Tom Bombadil
nennt ihn folgerichtig einen "mighty singer"10.
In jedem Fall ist es das Hauptmerkmal von Ents und Huorns,
dass sie die Bäume behüten, welche sich selbst nicht gegen
die Äxte und Sägen der Kelvar wehren können.
Ein solches Konzept scheint ebenfalls keinerlei Vorbild in der
Sagenwelt zu finden. Natürlich muss man auch dort vorsichtig
sein, keinen Baum zu fällen, der von einer Elfe bewohnt wird.
Die eventuelle Rache solcher Feen ist aber nicht als Vergeltung für
das Leben des Baumes zu verstehen, sondern für die Zerstörung
ihres Wohnsitzes.
Diese eindeutig körperlichen Baumwesen haben ihren Einfluss auf die fantasy-Welt geltend gemacht: so tauchen z.B. sie als "Treefolk" in Magic: the Gathering auf (siehe Abbildung 45). Speziell die Treants in AD&D11 (die eindeutig Ents sind) und natürlich die Baumhirten in RoleMaster12 (die aus MERP übernommen wurden) demonstrieren deutlich das beschützende Element der Ents; in DSA findet man mit den Waldschraten eine Riesen-Art, die ebenfalls Bäume vor Holzfällern schützt und sogar "borkige Haut" und "Haare wie frisches Laub"13 hat. Entferntere Abwandlungen, denen dieser beschützende Aspekt fehlt (und damit mehr an die Bösartigkeit des Old Man Willow erinnern), finden sich in Kreaturen wie einem Baummonster in Dungeon Master II14 und dem Quickwood in AD&D15. Generell zeigen solche "entischen" Wesen meist Ähnlichkeiten mit Riesen, deren Stärke, Größe, Robustheit und Langsamkeit hier noch deutlicher hervortritt.
1Silmarillion pp.52-53.
2Shippey, T.A.: "Creation from Philology in the [LotR]", in: Salu (1979), p.294.
3Letters, #144, p.179.
4vgl. dazu Tolkien FAQ: Loos (1999) "G 2) What became of the Entwives?" http://godzilla.eecs.berkeley.edu/rolozo/ (20. Juni 1999).
5Fußnote in Letters, #163, pp.211-212.
6Kocher (1972), p.108.
7Fußnote in Letters, #163, pp.211-212.
8vgl. dazu: Fußnote in Letters, #163, pp.211-212.
9LotR II, p.211.
10LotR I p.174.
11Beach (1995), "Treants".
12Charlton (1997), p.114.
13Johann (1996), p.243.
14"Dungeon Master II" [Computerspiel für Amiga, Atari ST und MS-DOS], FTL / Interplay 1994.
15Beach (1995), "Plant, Intelligent: Quickwood".