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Comic

Dieses Genre ist - hauptsächlich wegen seiner Ausgrenzung aus dem literarischen Kanon - bislang nur dürftig untersucht und dokumentiert worden1. Statt dessen bestehen wissenschaftliche Definitionen noch zum großen Teil aus verunsicherten Abwertungen, um eine weitere Nicht-Behandlung des Themas zu rechtfertigen. So wird zwar meistens auf die Entstehung aus der Bildergeschichte (Wilhelm Buschs "Max & Moritz" ist hier das klassische Beispiel) verwiesen, die Entwicklung zum Comic aber oft als Degeneration abgetan2. Erst vereinzelt wird dem Comic-Sektor eine gewisse Eigenständigkeit bescheinigt3 und damit der Entwicklung von Comic-spezifischen Techniken und Formen Rechnung getragen. Dabei ist wichtig, dass der auch heute noch gebrauchte Begriff von "Comic" oder "comic strip" schon in den 20er Jahren von der Entwicklung des Genres überholt worden ist4: So sind heute die Inhalte nicht mehr zwangsläufig komisch, und das Format des "strips" (das für Zeitungsveröffentlichungen benötigt wurde) verlor mit dem ersten Erscheinen eigenständiger Hefte ebenfalls seine Wichtigkeit. Das bedeutet nicht, dass dieses Urformat heute ausgestorben wäre5, nur sind neue - teils radikal andersartige - Formen hinzugekommen. So ist mit Art Spiegelmans "Maus"6 ein (übrigens biografischer) Comic über polnisch-jüdische KZ-Insassen während des 3. Reiches erschienen, der vor allem deshalb auf Protest und Unverständnis stieß, weil er dem Klischée des "Komischen" nicht entsprach7. So haben sich im Comic-Bereich aber schon seit längerem Unterformate gebildet, die mit Komik (fast) nichts mehr zu tun haben: Besonders in den 80er Jahren erlebte die fantasy im Comic einen Aufschwung, und genau wie in der "literarischen" fantasy ist auch hier die Entwicklung einer geschlossenen Sekundärwelt mit ihren eigenen Kreaturen und Gesetzmäßigkeiten ein konstituierendes Merkmal8 - die Möglichkeit, all dies grafisch darzustellen, erklärt sicherlich den besonderen Reiz einer solchen Synthese. Der dabei benötigte Umfang einer Erzählung lässt auch die für Comic Strips typische Kurzlebigkeit9 weit hinter sich. Interessanterweise zeigt sich besonders in dieser Umgebung eine starke Neigung von science fiction-orientierten Comics, deutliche (meist negative) utopische und damit gesellschafts­kritische Elemente zu verarbeiten10, welche auch bei Skeptikern eine gewisse literarische Ernsthaftigkeit vermuten lassen sollten. Um das Genre etwas objektiver zu betrachten, ist es meiner Ansicht nach am angemessensten, die Trennung zwischen Trivialem und literarisch Wertvollem innerhalb des Comic-Bereiches anzusetzen, und nicht darüber. Der immer wieder gerne vorgebrachte Sarkasmus, Comics seien die Literatur der Analphabeten, ist sicherlich nicht mehr angebracht. Insgesamt lege ich meinem Verständnis von Comics im engeren Sinne die Arbeitsdefinition von Kaps zugrunde:

"Comics sind eine printmedial verbreitete visuelle Textform, die aus mindestens zwei Bildern besteht. In aller Regel findet zumindest in einem Teil der Bilder Schrift Verwendung, die dann in das Bild integriert ist. Unabhängig von der Verwendung von Schrift sind die Bilder eines Comics mit grafischen und/oder malerischen Mitteln gestaltet."11

Da aber nur wenige direkte Comic-Umsetzungen von Tolkiens Werken existieren12, liegt mein Schwerpunkt in diesem Bereich auch darauf, Darstellungen in anderen Werken dieses Genres auf die Einflüsse von Tolkiens Schaffen zu untersuchen. Dabei erweitere ich hier den Begriff von Comic im weiteren Sinne auf alle Formen von bildlichen Darstellungen innerhalb des fantasy-Bereiches. Damit wird es möglich, ebenfalls Spiele­illustrationen (auch von Computerspielen), Zeichentrickfilme, Cartoons, Poster, Buchumschläge, Schallplattencovers etc. für Vergleiche heranzuziehen. Dabei beziehe ich mich z.B. auf Arbeiten von John Howe, der mit seiner Umschlaggestaltung für die hier benutzten Ausgaben des LotR, Silmarillion und der Tales einen Ruf als "offiziell autorisierter" Tolkien-Illustrator genießt und zusammen mit Alan Lee13 für die künstlerische Gestaltung der LotR-Neuverfilmung von Peter Jackson zuständig ist14. Des weiteren untersuche ich Arbeiten von Angus McBride und Liz Danforth, die einen Großteil der Grafiken für MERP gestaltet haben, sowie verschiedener anderer einschlägiger fantasy-Künstler. So wird an den vielen Beispielen im Hauptteil dieser Arbeit deutlich werden, wie Tolkiens Konzepte mit allgemeinen Vorstellung von fantastischen Kreaturen vermischt worden sind.

Betrachtet man nun die 3-teilige Hobbit-Comicadaption15 als repräsentativ für den Umgang dieses Genres mit Tolkien, so stellt man vor allem fest, dass sich hier ein für Comicleser etwas ungewohntes Bild bietet: Während die meisten Comics bewusst auf ihren Bildern aufbauen - und damit im Groben auch ohne Lesen der Sprechblasen nachvollziehbar sind - präsentiert sich der Hobbit relativ textlastig (Abbildung 1). Verständlich wird dies, wenn man den Erzählstil der beiden hier zusammengebrachten Elemente betrachtet: So haben Comics im Allgemeinen die Tendenz, eine Geschichte grafisch zu erzählen und den eingebrachten Text hauptsächlich auf die Dialoge (in meinst runden Sprechblasen) zu beschränken. Kommentare des Erzählers (in meist eckigen Textkästen) sind eher selten, und wenn sie doch auftreten, meistens relativ knapp. Der Hobbit ist demgegenüber in langen Passagen vom auktorialen Erzähler gleich einem Bericht verfasst, was in der Comicversion zu ausgedehnten (teilweise seitenlangen) Kommentarkästen führt. So entsteht hier eher der Eindruck, der Text sei mit Bildern kommentiert worden und nicht umgekehrt, wie es typischer wäre für einen Comic. Damit entspricht diese Umsetzung in etwa einer gestrafften Form bzw. Zusammenfassung des Originaltextes, die dann zur Verdichtung der Atmosphäre bebildert worden ist.

Bei der grafischen Umsetzung der Figuren im Hobbit fällt auf, dass der Illustrator zwar gängige fantasy-Darstellungen (z.B. für Smaug, den Drachen) wählt, aber einige seiner Zwerge erinnern teilweise doch noch an Disney-Illustrationen aus Märchen wie z.B. Schneewittchen (Abbildung 2). Hier wurde also berücksichtigt, dass der Hobbit sich eindeutig an ein jüngeres Publikum wendet. So ist auch Thranduil, der Elbenkönig, optisch nicht von einem Menschen zu unterscheiden (Abbildung 3). Ebenso wird Bilbo als Hobbit nur schwer erkennbar, weil sein einziges Erkennungsmerkmal - die pelzigen Füße - oft nicht im Bild sind; ohne das Hintergrundwissen des Textes könnte er genauso gut für einen glattrasierten Zwerg gehalten werden (Abbildung 4). Bei all diesen Beanstandungen, die sich unter der Berücksichtigung des LotR ergeben, darf aber auch nicht vergessen werden, dass das Originalbuch von Tolkien hier selbst noch keine präziseren Differenzierungen erlaubt - die feineren Unterscheidungen der Rassen Mittelerdes erfolgten erst später im LotR und im Silmarillion. So war im Hobbit die Unterscheidung zwischen Zwergen und Hobbits tatsächlich noch so problematisch, dass Bilbos einziges deutliches Unterscheidungs­merkmal das Fehlen eines Bartes war16. Die grafischen Darstellungen sind dem Hobbit als Kinderbuch also durchaus angemessen. Außerdem wird in der bildlichen Umsetzung der Schlacht der Fünf Heere am Ende des Hobbit deutlich, dass hier ein relativ blutrünstiges Geschehen kindergerecht unblutig dargestellt wird - ganz genau wie Tolkien in der Beschreibung der Schlacht vorgeht.

Alles in Allem bietet sich hier das Bild einer handwerklich ordentlichen Umsetzung, die sich keine Mühe gibt, übermäßig progressiv zu wirken - trotz gelegentlicher Bildüberlagerungen wirkt die Seitengestaltung in ihrer relativ konsistenten Rechtwinkligkeit eher traditionell17, und die dezente (fast schon kontrastarme) Farbgestaltung macht einen eher unscheinbaren Eindruck. Somit ist der Comic in den meisten Punkten durchaus adäquat umgesetzt, allerdings wird auch sehr deutlich, dass hier eine genrefremde Vorlage verarbeitet worden ist. Besonders sichtbar wird dieser Spagat zwischen verschiedenen Literaturformen auch dadurch, dass die Übersetzer der deutschen Fassung sich dafür entschieden, mit den offiziellen LotR-Übersetzungen zu brechen und der weniger populären Übersetzung aus der deutschen Ausgabe des "kleinen Hobbit"18 zu folgen: So wird Bilbos Elbendolch Sting mit "Stachel"19 anstatt mit "Stich"20 übersetzt und Rivendell (HdR: "Bruchtal") und Hobbiton ("Hobbingen") unverändert übernommen. Damit richtet sich die Comicversion absichtlich eher an jüngere Leser, die den Herrn der Ringe noch nicht kennen. Insofern bleibt es fragwürdig, ob Comicfans diese Version nicht als zu langatmig empfinden und Tolkienfans möglicherweise die Kürzungen im Text bedauern. So oder so ist hier aber ein sehr brauchbarer Kompromiss erstellt worden, der ohne Abstriche von beiden Teilbereichen nicht realisierbar gewesen wäre.

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1Kaps (1990), p.35.

2vgl. z.B. Wilpert (1989), p.158: "...die unterste, ästhetisch, lit. und gehaltlich mangelhafte Stufe der ð Bildergeschichte..."

3Schweikle (1984), p.82.

4Kaps, p.35.

5ein heutiges Beispiel des klassischen comic strip-Formats stellen u.a. Bill Watterson's "Calvin & Hobbes" und Dik Brownes "Hägar der Schreckliche" dar, die aufgrund ihres primären Veröffentlichungsmediums - der Tageszeitung - immer noch an das schmale Streifen-Layout gebunden sind.

6Spiegelman, Art: "Maus - A Survivor's Tale", New York: Pantheon Books 1986.

7Kaps (1990), p.124.

8Kaps (1990), p.242, 247, 291.

9Helbling (1995), p.155.

10Kaps (1990), p.246.

11Kaps (1990), p.45.

12Die einzige momentan erhältliche Version ist eine 3-teilige Adaption des Hobbit: Dixon (1992). Bedenkt man demgegenüber den Umfang des LotR, so leuchtet ein, dass eine angemessene Comicadaption hier leicht 10 Bände und mehr erreichen könnte - es ist fragwürdig, ob sich hierfür Käufer finden würden.

13Alan Lee illustrierte eine 1991er Ausgabe des LotR. vgl. Clute (1997), p.568.

14Vgl. http://ringbearer.org/tolkienfaq.html (30. Juni 1999).

15Dixon (1992).

16vgl. dazu: Hunt, Peter: "Did dwarf women have beards?", in: Tolkien FAQ. Download am 20. Juni 1999 von: http://godzilla.eecs.berkeley.edu/rolozo/

17"Bewegte Seitengestaltung" nach Kaps (1990), p.269.

18J.R.R. Tolkien: "Der kleine Hobbit", Recklinghausen: Georg Bitter Verlag [o.J.].

19Dixon (1992), p.76.

20HdR I, p.376.

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