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Hobbits

Die Hobbits1 sind ein genuin neues Konzept Tolkiens2 und gehen auf keine bekannten Fabelwesen direkt zurück. So sagt van Heusden über sie: "It seems Hobbits are merely small bourgeois Men"3 (siehe Abbildung 29-30). Ich würde hier allerdings nicht so sehr von "bourgeois", sondern eher von "rural" sprechen: Die unbürokratische Gesellschaftsform der Hobbits erinnert eher an eine positive Anarchie4 als an städtisches Bürgertum. So sind hier auch sicherlich eher das kleinbürgerliche Denken der Hobbits und ihre harmlosen Vorurteile gegen "Outsiders" gemeint. Ihre Naturverbundenheit und Vorliebe für einfache Genüsse dagegen drückt Tolkien im Vergleich mit sich selbst folgendermaßen aus:

"I am in fact a Hobbit (in all but size). I like gardens, trees and unmechanized farmlands; I smoke a pipe, and like good plain food [...]; I like, and even dare to wear in these dull days, ornamental waistcoats. I am fond of mushrooms (out of a field); have a very simple sense of humour [...]; I go to bed late and get up late (when possible). I do not travel much."5

Innerhalb seiner Erzählung nennt Tolkien die Hobbits auch Halflings (Halblinge) und verweist auf die Herkunft der Bezeichnung aus dem Vergleich mit der Körpergröße númenorischer Menschen6. Die Hobbits selbst nennen sich daher nicht Halblinge. Natürlich spart Tolkien auch hier nicht mit Alternativ­bezeichnungen: so nennt er das rohirrische "holbytlan" und das elbische "periannath" als weitere Namen der "little people". Außerhalb Mittelerdes muss zur Namensgebung bemerkt werden, dass der Begriff "Hobbit" zwar fast die einzige eindeutige und nicht-verwechselbare Benennung (siehe Ents im Gegensatz zu Elves und goblins/orcs) darstellt, aber Kompatibilität zum allgemeinen Sprachgebrauch führt auch oft zur bewussten Falschbenennung als "Zwerg"7! Dieser Unwille, auf eine neue Terminologie einzugehen, prägte schon in die ersten Versuche, den Hobbit in Deutschland zu veröffentlichen: Nach dem Durchstöbern mehrerer Enzyklopädien brachen die Verleger die Verhandlungen ab - mit der Begründung, so etwas wie ein "Hobbit" existiere gar nicht8. Ironischerweise strafen heutige Nachschlagewerke diese Feststellung mittlerweile Lügen: Merriam-Webster's Collegiate Dictionary definiert einen Hobbit - recht angemessen - als:

"n [coined by J.R.R. Tolkien] (1937) : a member of a fictitious peaceful and genial race of small humanlike creatures that dwell underground"9

Trotz aller Eigengültigkeit von Tolkiens Begriff hat Wilson nicht unrecht, wenn er vermutet, der Name sei u.a. von rabbit abgeleitet10: Höhlenbau, geringe Größe, (leichter) Pelz, friedliebende Natur und Flinkheit sind nur die offenkundigsten Gemeinsamkeiten. Darüber hinaus symbolisiert diese Nähe auch Erdverbundenheit und Familiensinn11. Selbst Tolkiens eigene fiktionale Etymologie des Namens von "holbytla" (hole-builder)12 verstärkt den Eindruck dieser Nähe zu rabbits, da der Term "hole" auch schon im unreflektierten englischen Sprachgebrauch den Bereich eines Baus (burrow), so wie in "rabbit-hole"13 (Kaninchenbau) abdeckt14.

Tolkien weist selbst auf Verwandtschaften zwischen Hobbits und Menschen hin15, was deren Existenz überhaupt erst plausibel macht, denn in seiner Schöpfungs­geschichte tauchen die Halblinge nicht auf - sie müssen sich also später aus anderen Rassen entwickelt haben. So scheinen sie mit kleinwüchsigen Menschen­stämmen verwandt zu sein. In MERP werden die Hobbits dagegen als eigenständige Schöpfung Erus aufgeführt16, obwohl auch hier auf ihre ungeklärte Herkunft und die mögliche Verwandtschaft mit Menschen hingewiesen wird17. In der Tat sind innerhalb seines Werks die Hinweise dürftig, dass sich aus Menschen Hobbits entwickelt haben könnten, wenn man den Shire [das Auenland] als einzige große Hobbit-Population und Bree als Ort der Vermischung von Hobbits und Menschen betrachtet. Auch der Hinweis auf die Vorfahren der Stoor-Hobbits am Ufer des Anduin18 ist evolutions­biologisch kaum befriedigend; somit besteht auch hier eine Spannung in der Auslegung, die vor allem dazu führt, dass Hobbits größtenteils in menschlichen Kategorien betrachtet werden.

Das allgemeine Verständnis von Hobbits kann besonders an Illustrationen nachvollzogen werden: Dabei fällt auf, dass sie sehr oft mit deutlich kindlichen Gesichtszügen (als Extrembeispiel siehe Abbildung 31, die schon fast an ein Neugeborenes erinnert) dargestellt werden. So hat auch Bakshi die Hobbits in seinem Film mit kindlichen Gesichtern ausgestattet. Einige Darstellungen gestalten sogar die gesamte Körperstatur vollständig kindlich (Extrembeispiel hierfür: Abbildung 32. Für Außen­stehende sind hier Kinder abgebildet). Einerseits ist dies nützlich, um das Problem der Abgrenzung von den Dwarves (die ihrerseits alleine schon durch ihre Bärte älter wirken) zu lösen, andererseits transportiert diese Form der Darstellung auch eine wichtige Grundeigenart der Hobbits: Bradley und Kocher haben mit Recht darauf hingewiesen, dass die Hobbits im LotR - besonders Merry und Pippin - in vielerlei Hinsicht sehr kindlich sind19. Überspitzt gesagt könnte man den Shire als das Kinderzimmer Mittelerdes bezeichnen: Völlig arglos, weil beschützt durch die menschlichen und elbischen Reiche zwischen ihnen und Mordor, leben die Hobbits dort in weitgehender Unkenntnis ihrer Umgebung. Die daraus resultierende Ignoranz der drohenden Gefahr macht es für Saruman ein Leichtes, nach seiner Vertreibung aus Isengard dort Fuß zu fassen. Diese Unerfahrenheit oder Naivität wird in MERP angemessen damit umgesetzt, dass die breite Masse der dort beschriebenen Hobbits über die 4. Erfahrungs­stufe nicht hinaus kommt20 (im Vergleich dazu erreichen durchschnittliche Menschen Rohans und Gondors in MERP ohne Schwierig­keiten Stufe 20 und mehr21). So sind Frodo, Sam, Merry und Pippin (siehe Abbildung 33) nach ihrer Rückkehr in den Shire mit Stufen zwischen 8 und 1222 für Hobbit-Maßstäbe regelrechte Haudegen, was sich in ihrem Durchsetzungsvermögen als Anführer der Hobbits gegen "Sharkey" (Saruman) zeigt.

Insgesamt sind Tolkiens Hobbits flink, leise, zurückgezogen und schlicht in ihrem Gemüt, aber sehr lebenslustig. Wie aber schon oben deutlich wurde, benötigen Rollenspiel-Charaktere mehr als nur eine positive Einstellung zum Leben, um in gefährlichen Abenteuern zu bestehen. Während Tolkien daher seine Erzählungen so angelegt hat, dass die drohenden Gefahren ungeahnte Kräfte und Quali­täten in den Hobbits freisetzen, müssen Rollen­spiel­systeme ihre Halblinge so anlegen, dass sie von Anfang an taugliche Abenteurer abgeben. Die Zögerlich­keit, die Bilbo und Frodo zu Beginn zeigen, wäre ein so großer Nachteil für Rollenspiel-Hobbits, dass nur wenige Spieler sich für einen Halbling entscheiden würden. Daher lenken Rollenspielsysteme die Aufmerksamkeit der Spieler auf die Flinkheit und Geschicklichkeit des kleinen Volkes. Folgerichtig sind sie damit prädestiniert für Diebe und Späher (scouts) - genau wie Bilbo seine Reise als "Meisterdieb" antrat.

Zwar werden Hobbits in anderen Systemen oft nur als Halblinge bezeichnet23, sind aber auch dann eindeutig an Tolkien angelehnt, so z.B. in D&D: Barfüßigkeit und pelzige Fußrücken sind unverwechselbare Kennzeichen für Tolkiens Hobbits. In AD&D werden mit "Hairfeets, Tallfellows, and Stouts"24 sogar Tolkiens Harfoots, Fallohides und Stoors25 nahezu wörtlich zitiert. So wird sein Hobbitkonzept hier fast unverändert übernommen, bis hin zu solchen Details wie ihrer hohen Treffgenauigkeit beim Steinwurf:

[Tolkien]: "If any Hobbit stooped for a stone, it was well to get quickly under cover."26

[AD&D]: "Halflings have a natural talent with slings and thrown weapons. Rock pitching is a favorite sport of many a halfling child"27.

Sogar der für Shire-Hobbits typische Mangel an Abenteuerlust wird in AD&D explizit erwähnt: "Overall they prefer the comforts of home to dangerous adventuring"28.

Aber noch eine andere wichtige Eigenart besitzen Hobbits: besonders METW, in dem die Widerstandsfähigkeit29 gegen die Versuchung von Macht (corruption) sehr wichtig ist, stellt Hobbits hier als konkurrenzlos dar30: deren hohe Resistenz gegen die "Verderbnis" spiegelt hier Frodos Widerstand gegen den Einfluss des Einen Rings, aber auch Sams unerschütterliche Treue gegenüber seinem Herrn wider - Merry und Pippin beweisen ebenfalls große Loyalität gegenüber ihren (selbstgewählten) Königen. Dabei ist es durchaus bemerkenswert, dass diese Qualität nach Tolkien vor allem aus dem schlichten Gemüt der Hobbits abzuleiten ist: Sie sind ein zufriedenes Volk und haben daher kein Verlangen nach Macht. Möglicherweise erkennt Gandalf dies, als er über die Hobbits sagt:

"Soft as butter they can be, and yet sometimes as tough as old tree-roots. I think it likely that some would resist the Rings far longer than most of the Wise would believe."31

So ist es in METW schlechterdings unmöglich, den Einen Ring nicht von Frodo oder Bilbo tragen zu lassen: alle anderen Charaktere würden früher oder später der Versuchung erliegen und die Gemeinschaft verlassen. Da das Konzept von corruption aber nur sehr eingeschränkt anwendbar und für normale Rollenspielsysteme sehr ungewohnt ist, wurde diese Ausdauer sowohl in MERP als auch in AD&D mit einem hohen Bonus auf Konstitution und besonderen Resistenzen gegen Magie, Vergiftung und Krankheit umgesetzt32, worin sich z.B. Frodos Gesundung in Elronds Haus widerspiegelt, als Gandalf ihm sagt:

"I have known strong warriors of the Big People who would quickly have been overcome by that splinter, which you bore for seventeen days."33

Auch in METW sind Hobbits trotz ihrer geringen Körperkraft sehr widerstandsfähig34. So zeigen sich die verborgenen Qualitäten von Tolkiens Hobbits auch im Rollenspiel vor allem in hoher Zähigkeit. An aktiven Stärken besitzen sie dagegen Geschicklichkeit und Flinkheit. Besonders ihre geringe Größe und ihre Vorliebe für Barfüßigkeit verhilft ihnen dazu, sich unauffällig bewegen zu können. So werden - genau wie bei Tolkien - anscheinende Nachteile zum Vorteil verkehrt.

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1Beschreibung der Hobbits vgl. LotR I, p.17 (Prolog) und Letters, #27, p.35.

2Sogar sprachlich gesehen heben sie sich von den vielen anderen, oft altenglisch orientierten Namensgebungen Tolkiens ab. Vgl. dazu Shippey, T.A.: "Creation from Philology in the [LotR]", in: Salu (1979), pp.296.

3van Heusden, Peter: "Elf and Faerie: The development of Elves in Tolkien's Mythology", Download am 20. Juli 1999 von: ftp://ftp.math.uni-hamburg.de/pub/misc/tolkien/elves.

4Die einzigen Vertreter "staatlicher Gewalt", die Shirriffs, sind wenig mehr als Verkehrspolizisten: "The Shire at this time had hardly any 'government'." LotR I, pp.28.

5Letters, #213, p.288.

6Tales, pp.371-372.

7so gesehen bei Wagner (1988), p.167 und Just (1996), p.360.

8Fuller, Edmund: "The Lord of the Hobbits: J.R.R. Tolkien", in: Isaacs (1968), p.19.

9Mish (1994), p.551.

10Wilson, Edmund: "Oo, Those Awful Orcs!", in: Nation, CLXXXII (14. April 1956), p.312. Zitiert nach: Keenan, Hugh T.: "The Appeal of the [LotR]: A Struggle for Life", in: Isaacs (1968), p.66.

11Keenan, Hugh T.: "The Appeal of the [LotR]: A Struggle for Life", in: Isaacs (1968), p.66.

12LotR III, p.519.

13Schreibweise nach Carroll (1993), p.1: "Down the rabbit-hole".

14Tolkien selbst hat sich gegen diese Interpretation natürlich verwahrt: vgl. Letters, #27, p.35.

15Letters, #131, p.158.

16Charlton (1995), p.102.

17Charlton (1995), p.113.

18LotR I, p.80.

19Bradley, Marion: "Men, Halflings, and Hero Worship", in: Isaacs (1968), pp.111-112. Dabei muss natürlich auch berücksichtigt werden, dass die beiden noch in ihren "twens" und damit nach Tolkien noch nicht erwachsen sind. vgl. Kocher (1972), p.115.

20Fenlon (1989), pp.25-35.

21Fenlon (1987), pp.47-77.

22Fenlon (1989), p.22.

23vermutlich wiederum aus Copyright-Gründen. Siehe auch: Tolkien Enterprises

24Cook (1995) "Halflings".

25LotR I, p.20.

26LotR I, p.24.

27Cook (1995) "Halflings".

28Cook (1995) "Halflings".

29vgl. Fenlon (1989), p.8.

30vgl. z.B. Frodo in METW: +4 auf alle corruption checks. Charlton (1996), p.39.

31LotR I, p.75.

32Charlton (1995), Tabellen, p.18 und Cook (1995) "Halflings".

33LotR I, p.291.

34vgl. z.B. Bilbo und Frodo mit jeweils prowess 1, aber body 9. Charlton (1996), p.24+39.

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