Diese Arbeit habe ich 1994 in einem Linguistik-Seminar verfasst. Hier geht es darum, in welcher Reihenfolge einzelne Elemente einer sprachlichen Aussage angeordnet werden.

download eBook (PDF) »Linearisierung«

Linearisierung

Zurück Heim Nach oben Weiter

LINEARISIERUNG
menschlicher Sprache

über die Beziehungen zwischen
SPRACHE UND ZEITABFOLGE


1 . Vorwort 

Beschäftigt man sich mit der Wiedergabe unserer Umwelt in der Sprache, so stellt man unter anderem fest, dass die zu beschreibende Realität nach einer Vielfalt von Kriterien strukturiert werden kann, wie zu Beispiel spatial, temporal, sozial und so weiter. Da die menschliche Sprache aber an eine zeitliche Abfolge gebunden ist, muss der Sprecher diese mehrdimensionalen Modelle seiner Wahrnehmung in einer linearen Sequenz organisieren. Hierbei ist es von Interesse, zu untersuchen, in welcher Art und Weise dies geschieht, d.h. nach welchen Kategorien hier das persönliche Weltbild zum Ausdruck kommt. Um diese Linearisierung soll es im folgenden gehen. 


2 . "Experiential Iconicism"

Ich werde das Problem der Linearisierung am Beispiel des experiential iconicism (Enkvist 1981 ) erläutern, was wie folgt zu verstehen ist: Der Mensch nimmt die Realität nicht so wahr, wie sie ist, sondern ausschnittsweise. Da die Welt zu komplex ist, um in ihrer Ganzheit rezipiert zu werden, wird in der Wahrnehmung eine Auswahl an Dingen getroffen, die relevant erscheinen. Alles andere wird als unwesentlich erst gar nicht erkannt, fällt also aus dem kognitiven Prozess von Anfang an heraus. Die Entscheidung über die Relevanz einer Information wird im wesentlichen durch ihre Wichtigkeit für den Betrachter und ihre Abweichung von gewohnten Erfahrungen bestimmt.

Das, was die Informationsverarbeitung erreicht, wird in (möglichst bereits vorhandene) Kategorien unterteilt und im Rahmen dieses Zusammenhanges, in dem es nun steht, die Informationsmenge möglichst reduziert. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein Stuhl, wenn einmal als solcher identifiziert, nicht mehr in allen Einzelheiten (genaue Konstruktionsform, verwendete Materialien, Farbe etc.), sondern nur noch unter dem Begriff "Stuhl" gespeichert wird. Beim Abrufen dieser Information wird dann, sobald der Terminus "Stuhl" auftaucht, der allgemeine Bauplan dieses Begriffes, der für alle Stühle gilt, abgerufen. Man spricht hier auch von vom Schema eines Stuhles (Cook 19++; vergleiche auch: Lakoff & Johnson 1980:"gestalt"). Experimente der kognitiven Psychologie (Brewer und Treyens 1981 1) haben gezeigt, dass der Mensch sein Modell von der Umwelt nach solchen Schemata organisiert: Bei Gedächtnisversuchen waren die Erinnerungen an vertraute Anordnungen besonders gut, es wurden aber aufgrund der Vereinfachung bei der Zuordnung zu Gedächtniskategorien auch Dinge erinnert, die tatsächlich gar nicht vorhanden waren, weil sie zu dem aktivierten Schema gehörten. 

Die einfließende Information wird also laufend bestimmten Gruppen zugeordnet, in denen das Gedächtnis strukturiert ist. Dadurch wird erstens ein zu großer Speicherplatzverbrauch vermieden (denn die Gedächtniskapazität ist natürlich begrenzt) und zweitens eine gute Verknüpfbarkeit von einzelnen Begriffen gewährleistet, denn alles einmal Zugeordnete steht beim Aufrufen einer Kategorie sofort zu Verfügung. Dies macht zusammenhängendes Denken überhaupt erst möglich. 

Dabei wird deutlich, dass die wahrgenommene Welt vom Betrachter in einer subjektiven Weise begriffen wird, denn die angelegten Maßstäbe für Kategorisierung stellt erst er selbst her. Indem er seine Beobachtungen einordnet, erstellt er eine virtuelle Welt, nach der er seine Handlungen bestimmt. Dieses Modell kann aber natürlich keinen Vollständigkeitsanspruch erheben, denn dann würde es unbrauchbar komplex werden. Die Gesamtheit dieses Modells wird aus einzelnen Gegenständen der persönlichen Erfahrung zusammengesetzt - den icons of experience. Ikonizität dagegen beschreibt die Anordnung von Gegenständen im Text - also für welche Reihenfolge sich der Sprecher bei einer Äußerung entscheidet. Steht jemand vor der Aufgabe, einen Nichtlinearen Zusammenhang in einem Satz, also in einer Abfolge zu formulieren, so werden dabei die Kriterien deutlich, nach denen er/sie vorgeht. 

Der Term experiential iconicism umschreibt also, in welcher Art und Weise die Erfahrung das Weltbild eines Menschen gestaltet und wie sich diese Perspektive in seinen kommunikativen Interaktionen äußert. 

3. Linearisierung

Kommen wir nun also zum Wesentlichen: dem Organisieren von ursprünglich Nichtlinearem in einer Sequenz. Da die Reihenfolge der menschlichen Sprache naturgegeben eine zeitliche Abfolge ist, liegt die Vermutung nahe, dass bei der Umschreibung chronologischer Ereignisse die vorgegebene Ordnung übernommen wird. In der Tat bildet dies die Grundlage für menschliche Erzählung. Das heißt, wo immer es möglich ist, einer natürlichen Sequenz zu folgen, wird dies in der Regel auch getan. Das Problem, das sich daraus ergibt, ist allerdings Folgendes: Was genau ist eine natürliche Sequenz? 

Wir haben in Kapitel 2 gesehen, dass der Mensch gar nicht in der Lage ist, sein Denken und Handeln objektiv an der ihn umgebenden Umwelt auszurichten, weil er von ihr lediglich ein Modell konstruiert, das er zur Beurteilung heranzieht. Wenn wir also ständig nur Annäherungen an unsere Umwelt zu erreichen versuchen, wie können wir dann feststellen, ob eine Ordnung, die wir zu beobachten glauben, auch tatsächlich existiert? Dies ist ein Streitpunkt, den man nicht endgültig klären kann, weil er über unsere Beobachtungsmöglichkeiten hinausgeht. Man kann sich aber im Rahmen einer linguistischen Diskussion auf einige Vereinbarungen festlegen, die von der Mehrheit der Betrachtenden übereinstimmend gesehen werden. Denn obwohl Zweifel daran bestehen, ob die zeitliche Abfolge, von der wir ausgehen, physikalisch objektiv überhaupt existiert (Hawking 1989), so herrscht doch Einigkeit darüber, dass wir sie erleben, und auch darüber, dass sie in ihrer Richtung (von der Vergangenheit in die Zukunft) von allen Menschen gleich empfunden wird. 

Bei der erlebten Geschwindigkeit der Zeit ("innere Uhr") entstehen allerdings bereits Abweichungen, die bei Anwendung der gleichen sprachlichen Methoden zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, obwohl jeder einzelne Sprecher von sich behaupten mag, in der Struktur seiner Äußerung lediglich die "natürliche Reihenfolge" übernommen zu haben. Es ist also wichtig, immer zu berücksichtigen, dass Zeit keinesfalls etwas für alle in gleichem Maße Gültiges ist, sondern dass sie stets der Perspektive der persönlichen Interpretation unterworfen ist. Vor diesem Hintergrund können wir uns nun der genaueren Betrachtung von Linearisierungskriterien widmen. 


3.1 Altes und Neues (Zeitabfolge) 

Natürlicherweise gehen wir davon aus, dass zwei Ereignisse, von denen erzählt wird, auch in der gleichen Reihenfolge stattgefunden haben, wie sie im Text repräsentiert sind. In der Tat ist dies auch die bei weitem häufigste Anordnung von Ereignissen in Erzählungen. So wird die neu gelieferte Information laufend auf das bereits Vorhandene aufgebaut und ermöglicht Rückbezüge innerhalb der Erzählung. So findet man in einzelnen Sätzen auch stets Teile des bereits vorhandenen Repertoires an erster Stelle, um dann etwas Neues dazu in Relation zu setzen. Beispiel: "Wir haben die Fabrik in Hong Kong gebaut." Hier wird Bezug genommen auf einen bereits vorgestellten Gegenstand, eine Fabrik. Jede andere Reihenfolge scheint hier unangebracht, es sei denn, man möchte der Information einen besonderen Ausdruck verleihen. So betont folgende Sequenz den Standort: "In Hong Kong haben wir die Fabrik gebaut. Das Büro ist noch in Bejing." Die Ergänzung macht die Notwendigkeit dieser Umstellung deutlich: Da der Standort besonders betont wird, kommt ihm die erste Stellung im Satz zu. Dadurch bekommt er ein besonderes Gewicht, das danach kontrastiv begründet wird. 

Im Gegensatz dazu findet man in Bedienungsanleitungen und Kochbüchern (wenn sie gut geschrieben sind) eine strikt lineare Abfolge, die es ermöglichen soll, eine Prozedur korrekt auszuführen, die einem - bis dato - unbekannt ist. Damit man nun nicht erst den ganzen Abschnitt studieren muss und alles Gelesene auf einmal im Kopf haben muss, ist die Struktur eines solchen Textes so angelegt, dass man Schritt für Schritt der Vorgabe folgen kann und zu keinem Zeitpunkt den Überblick über das Ganze haben muss, was natürlich eine Entlastung darstellt. 


3.2 Räumliche Aufteilungen (spatial) 

Es gibt für die Voranstellung von Lokativen Beispiele, in denen jeweils deutlich wird, warum der Ort hier gesondert hervorgehoben wird. So findet man z.B. in Reiseführern oft Formulierungen wie "Zu Ihrer linken sehen Sie nun..." oder "An der Nordwand befindet sich..." und ähnliches. Hier wird diese Reihenfolge benutzt, um das Augenmerk des Betrachters direkt zu lenken, so als ob man ihn an der Hand durch den Raum führen würde. Dabei ist es verständlicherweise sinnvoller, zuerst darauf hinzuweisen, welchem Gegenstand sich der Besucher zuwenden möchte, bevor man ihn näher erklärt. 


3.3 Kausale Folgen 

Oftmals werden objektiv korrekte temporale Abfolgen aber nicht nur als Repräsentation des Zeitverlaufes gesehen. Selbst wenn vom Sprecher nicht beabsichtigt, so werden doch sehr viele Äußerungen, die wir machen, von unseren Hörern als kausal strukturiert interpretiert. So folgert man beispielsweise bei der Aussage "Peter hatte einen Unfall und kam ins Krankenhaus" automatisch, dass Peters Einlieferung ins Krankenhaus durch seine angenommenen Unfallfolgen zustande kam. Kein Mensch würde davon ausgehen, dass Peter den Unfall unbeschadet überstanden hätte und aber kurz darauf wegen eine Erkrankung die Klinik aufsuchen musste. Wäre dies der Fall, so müsste der Sprecher an dieser Stelle explizit darauf hinweisen, dass der Unfall nicht der Grund für den Krankenhausaufenthalt war. So ist es auch nicht denkbar, eine solche Aussage umzustellen, selbst wenn sie den Gegebenheiten entspräche: "Peter kam ins Krankenhaus und hatte einen Unfall" würde schlimme Vermutungen hervorrufen, dass Peter im Krankenhaus (wo man ihn eigentlich in Sicherheit wähnt) einen Unfall hatte. Hier stimmt der Zusammenhang des Textes nicht mehr, denn abgesehen von einer syntaktisch korrekten Form der Erzählung sind wir auch auf eine zusammenhängende Berichterstattung angewiesen. Fehlt dieser "rote Faden", können wir mit einem Text nichts anfangen und haben ihn infolgedessen auch schnell wieder vergessen. Möchte man also zum Ausdruck bringen, dass Peter gleich nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus - möglicherweise noch auf dem Weg nach Hause - einen Verkehrsunfall hatte, der aber nicht so schlimm war, dass er nochmals in die Klinik gemusst hätte, so bedarf das (die Länge meiner Ausführung belegt dies) einer viel ausführlicheren Erklärung als die schlichte Aneinanderreihung von Aussagen. Dieses Beispiel belegt sehr schön unser schematisches Denken: Mit Unfall assoziieren wir Blechschaden, Verletzungen, Krankenhaus und im schlimmsten Falle Tod. Mit der Erwähnung des Wortes "Unfall" wird dieses Schema aufgerufen und mit den danach aktivierten Schemata in Verbindung gebracht. So sehen wir automatisch eine zwingende Verbindung zwischen "Unfall" und "Krankenhaus", auch wenn der Sprecher dies denotativ nicht zum Ausdruck gebracht hat. Will man also etwas ausdrücken, das unseren Schemata entgegenläuft, so bedarf dies ausdrücklicher Erwähnung, sonst kann es zu schwerwiegenden Missverständnissen kommen. 


3.4 Soziale Strukturen 

Steht ein Sprecher vor der Aufgabe, eine Gruppe von Personen zu benennen, so wird er für die Reihenfolge, in die er sie stellt, wahrscheinlich bestimmte Maßstäbe anwenden. In der Tat ist es offensichtlich, dass wir hier zuerst diejenigen Menschen nennen werden, die uns am wichtigsten sind, und in der Abfolge zu den weniger wichtigen verfahren werden. Es ist allerdings auch wichtig zu bemerken, dass es für den Sonderfall der Aufzählung im Rahmen der Untersuchung von Textlinearisierung auch gewisse formale Regeln gibt, wie zum Beispiel die alphabetische Sortierung, die der Übersichtlichkeit dient und als wertneutral verstanden wird. Auch kann man z.B. im Abspann eines Films die Akteure "in order of appearance" auflisten, um eine andere Form der Nachvollziehbarkeit der Reihenfolge, die keinen hervorheben soll, zu geben. Aber wenn man von solchen festen Regeln absieht, so geschieht eine unbewusste Linearisierung, das heißt, wenn dem Sprecher keine ausdrücklichen Formeln zu Verfügung stehen, wird als Sortierungskriterium oft der soziale Status herangezogen. Das bedeutet im Einzelnen: Vorgesetzte stehen vor Angestellten, Majore stehen vor Gefreiten, Erwachsene stehen vor Kindern, Lehrer vor Schülern und - leider immer noch, aber es ist so - Männer vor Frauen. Das an dieser Stelle von vielen gebrachte Gegenbeispiel von "Damen und Herren" ist lediglich eine Höflichkeitsform, die dazu dient, eine vermeintliche Höher- oder doch zumindest Gleichstellung der Frau zu suggerieren und zu verschleiern, dass dem keinesfalls so ist. Betrachtet man die historische Stellung der "Dame" in der Gesellschaft, so war der größte Teil der Frauen davon sowieso ausgenommen, und die scheinbare Erhebung der Dame zu gesellschaftlicher Relevanz diente lediglich ihrer Eingrenzung, denn wenn sie der ihr zugeschriebenen Rolle gerecht wurde, so hatte sie sich aus allen "Männerangelegenheiten" herauszuhalten. Bei der Betrachtung dieser (und anderer) Alibiformel(n) wird noch einmal deutlich, dass wir nicht nach der Realität leben, sondern nach unserem Modell, was wir uns von ihr machen - und damit gleichzeitig unsere gesellschaftlichen Realitäten formen und festigen. 


3.5 Aktives und Passives (naturalness principle) 

Wenn man mit einer Aussage eine Aktion beschreiben möchte, so liegt das Hauptaugenmerk immer auf dem aktiven Teil, weil dies dasjenige ist, was für uns von Interesse ist. So kommt es, dass fast alle Tätigkeiten in unserer Sprache aktiven Ausdruck finden, wie z.B. "Die Katze fängt die Maus". Nur selten sehen wir einen solchen Sachverhalt passiv formuliert, d.h. "Die Maus wird von der Katze gefangen", es sei denn, wir wollen die Situation der Maus betonen oder eine besondere Verbundenheit demonstrieren. Es scheint uns die natürliche Reihenfolge, den aktiven Teil zuerst zu beschreiben und erst dann auf das Objekt dieser Aktivität einzugehen. Der Ursprung dieser Weltsicht dürfte leicht nachvollziehbar sein: Wir sind biologisch - ganz besonders in unserer Herkunft (Primaten) als Fluchttiere - darauf programmiert, auf Veränderung zu reagieren, Bewegung wahrzunehmen und zu interpretieren. Es ist für unsere Existenz zwingend notwendig, laufend die Veränderungen unserer Umwelt zu registrieren und zu verarbeiten. Unsere Abstammung wird uns beispielsweise besonders deutlich, wenn wir merken, wie nervös uns unser Tischnachbar in einem Seminar macht, der kontinuierlich mit den Fingern schnipst oder auf der Tischplatte trommelt. Wir merken, dass wir solche Dinge nur sehr schlecht ignorieren können, weil es unserer Veranlagung entspricht, die Vorgänge um uns herum zu registrieren und im Falle von Gefahr mit Flucht oder Angriff zu reagieren. Die bei geringer Alarmierung leicht erhöhte Adrenalinausschüttung macht uns nervös, weil wir auf diese Aktivität nicht reagieren können, sondern die Situation von uns stille Aufmerksamkeit erfordert. Wir messen dem Geschehen um uns herum also große Bedeutung zu; dabei wird sehr deutlich, warum unsere Sprache so aktivitätsorientiert ist. Selbst auf abstraktester Ebene (z.B. Mathematik, Kernphysik etc.) können wir dieses Grundmuster unseres Denkens wiederfinden: Agierende stehen vor Empfängern und Bewegung kommt vor Stillstand oder Hintergrund. Dieses Prinzip wird wegen seiner tiefen Verwurzelung in der menschlichen Psyche auch als naturalness principle bezeichnet. 


3.6 Subjektivität und Ego (vividness principle) 

Ein weiteres grundlegendes Prinzip unserer Sprachorganisation ist die Egozentrik, mit der wir die Welt sehen: Jeder geht zuerst von sich aus. Das geht natürlich auch nicht anders, denn jeder kann das, was er sieht, nur mit eigenen Mitteln reflektieren. Daraus folgt, dass wir alles, was wir scheinbar objektiv beobachten, doch ausschließlich subjektiv sehen können. Sprachlich findet sich dies vor allem in starkem Selbstausdruck wieder: Alles, was einen selbst betrifft oder was emotional besonders wichtig ist, wird in der Sprachlinearisierung favorisiert, das heißt, es steht an erster Stelle. Auch was uns besonders intensiv erscheint und damit besonders wichtig, findet sich an betonten Positionen wieder. So benutzt man häufig Formeln wie "Ich finde..." oder "Wenn Du mich fragst...". Dabei gehen wir immer erst von uns aus, bevor wir auf andere oder Gegenstände unserer Umwelt eingehen. Dies findet seinen Ursprung in der Eigenaktivität des Menschen: Wir sehen etwas, agieren, und registrieren das Ergebnis. Dabei gehen wir von uns als Mittelpunkt des Geschehens aus. Es ist wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass hier keineswegs eine natürliche Sequenz vorliegt, so normal uns das auch erscheinen mag. Wir kommen nicht auf die Idee, die Dinge von außen zu betrachten. Die scheinbare Absurdität eines solchen Gedankens verdeutlicht der Witz, in dem eine Labormaus zur anderen sagt: "Ich habe den Professor gut dressiert. Jedes Mal, wenn ich die Glocke betätige, gibt er mir ein Stück Käse". Hier wird klar, dass unsere Perspektive keineswegs die einzig richtige ist, aber auch, dass es keine objektive Richtigkeit gibt. Das Prinzip, das diese Selbstzentriertheit umschreibt, wird vividness principle genannt. 


3.7 Erhaltung des Zusammenhanges bei Zeitsprüngen (Kohärenz) 

In dem Fall, dass eine strikt temporal linearisierte Struktur durchbrochen wird, muss dem Zuhörer klargemacht werden, an welcher Stelle im zeitlichen Modell der Erzählung sich der Sprecher gerade befindet. Hier kann man sich expliziter Zeitangaben bedienen, die er entweder absolut (6 Uhr morgens / am Samstag / im Juli 1983 etc.) oder relativ zur Erzählung (5 Minuten vorher / am vorigen Abend / im Jahr danach etc.) einbinden kann. Man kann aber auch mit indirekten Zeitangaben verdeutlichen, wo man in der erzählten Zeit einen Sprung macht, so zum Beispiel in einer Erzählung, in der die Zuhörer bereits erfahren haben, dass eine der Charaktere der Geschichte zu einem früheren Zeitpunkt gestorben ist; wenn diese Person in der Narration nun plötzlich wieder lebendig auftaucht, ohne dass dieser Umstand weiter erklärt wird, so werden die Zuhörer folgerichtig annehmen, dass die Erzählung eine kurze Rückblende in die Lebenszeit dieser Person vornimmt, um vielleicht einige bislang unerwähnte Punkte über diesen Menschen aufzuklären. 


4 . Beispiele anhand einer autobiografischen Stegreiferzählung 

Im folgenden möchte ich die oben genannten Linearisierungskriterien am Beispiel einer Stegreiferzählung über ein Urlaubserlebnis erläutern. Die Narration beschreibt eine Fahrt, die nicht den erwarteten Verlauf genommen hat und ist daher stark emotional durchsetzt. Das Interview, das ich hierfür verwende, ist einer Erzählungstransskription (Schütze 1987) entnommen, die ich teilweise zitieren werde. 

4.1 Beispiele auf Mikroebene

Die hier angeführten Beispiele liegen auf kleinstmöglicher Ebene und erfassen immer nur einen Ausschnitt, an dem ich aufzeigen werde, wie er linearisiert worden ist. Alle Fallbeispiele für die Mikroebene sind auf Seite 278 der Schütze-Veröffentlichung zu finden. 

Altes vor Neuem (Schütze 1987, S. 278, Zeile 45-47): 

"(...) hatte ich die Laute noch so irgendwie im Kopf, und bis dann endlich mal eine Frau da durchblickte, und die hat mir dann aufgeschrieben in /eh/ n-sprachigen Buchstaben die Richtung, ne, ja und, und dann - haben wir das, also haben wir auch einmal ein Schild gesehen (...)" 

Hier wird offenkundig ein Ereignis nach dem anderen beschrieben, und zwar nicht nur zeitlich aufeinanderfolgend, sondern auf einander bezogen. Dies ist essentiell wichtig, um dem Text eine sinnvolle Kohärenz zu geben: Zuerst geht es um den Namen eines gesuchten Ortes, dann findet sich eine Frau, die trotz Verständigungsproblemen versteht, worum es geht (Bezug zum Ort), und aufschreibt, wo es langgeht (Bezug zur Frau), und später sieht die Erzählerin ein Ortsschild (Bezug zum niedergeschriebenen Ortsnamen auf dem Zettel) und so fort. Es ist für uns so selbstverständlich, dass sich innerhalb eines Satzes das Subjekt auf das Prädikat bezieht, dass es beinahe schon überflüssig erscheint, so genau darauf einzugehen, aber wir müssen uns einmal verdeutlichen, dass solche Beziehungen auch über die Satzgrenzen hinausgehen können. Durch die Aufeinanderfolge von neuen Elementen werden für uns die Bezüge eindeutig und wir können die Relationen zwischen den genannten Gegenständen erkennen.

Kausale Folge (Schütze 1987, S. 278, Zeile 49-51):

"(...) und dann kamen wir an eine Kreuzung, da standen also zwei -zwei n-sprachige Namen drauf, keiner von beiden stand auf meinem Stück Papier, und dann haben wir gewürfelt, nicht, (...)" 

Hier wird außer der ersichtlichen zeitlichen Abfolge noch eine kausale Struktur deutlich: Eine Situation wird problematisiert, (Stehen an einer Kreuzung, ohne den richtigen Weg zu wissen) und mangels sinnvoller Lösungsmöglichkeiten wird eine Entscheidung erzwungen: Es wird gewürfelt, für welchen Weg man sich entscheidet. Ganz offenkundig wird das normalerweise als irrational erachtete Verhalten, an einer Kreuzung um den Weg zu würfeln, dadurch erklärt (begründet), dass es keine andere Möglichkeit gab. Ohne die Erläuterung, dass der gewünschte Weg mit den zu Verfügung stehenden Mitteln nicht zu finden war, würde die Erzählung keinen Sinn machen. So aber ist die Entscheidung nachvollziehbar. 

Soziale Strukturen (Schütze 1987, S. 278, Zeile 35-37): 

"(...) Hermann sagt, da fahren wir jetzt hin, wir müssen Richtung Südosten, ne, und das ist schon richtig, und ich denke, na ja, fahren wir da mal hin (...)" 

An dieser Stelle wird die soziale Position der Erzählerin zu ihrem Partner deutlich, denn in der Problemsituation, eine Entscheidung über die einzuschlagende Richtung fällen zu müssen, übernimmt er die Verantwortung für den Weg und trifft eine Wahl. Sie dagegen akzeptiert dies, indem sie ihm sowohl die Entscheidungsgewalt wie auch die Verantwortung für die Route überlässt. Da ihm also in dieser Situation die Hauptgewichtung zukommt, steht er an erster Position im Satzgefüge. 

Aktives und Passives (Schütze 1987, S. 278, Zeile 39): 

"(...) habe ich wohl zehnmal Leute gefragt (...)" 

Hier wird anhand eines Minimalbeispiels deutlich, auf welch grundlegende Art und Weise hier eine Linearisierung nach der Bevorzugung des aktiven Moments vorgenommen wird: Das Subjekt (agierend) steht vor dem Objekt (rezipierend). 

Subjektivität und Ego (Schütze 1987, S. 278, Zeile 37): 

"(...) und ich denke, na ja, fahren wir da mal hin (...)" 

Diese Stelle demonstriert, dass keineswegs immer nur ein einziges Kriterium zutreffen kann; vielmehr sind ständige Überschneidungen die Regel. Hier kommt zum sozialen Moment (s.o.) noch das Subjektivitätsprinzip hinzu: Die Sprecherin äußert ihre persönliche Wertung und stellt sich damit an den Anfang des Teilsatzes. 

Explizite Zeitangabe (Schütze 1987, S. 278, Zeile 52-53): 

"(...) und das war eine Horrornacht, die dann kam, ne, (...)" 

Hier haben wir ein Beispiel der bewussten Abweichung von der zeitlichen Kontinuität der Erzählung: Es kommt zu einer Raffung, einem Sprung in der erzählten Zeit, um alles Uninteressante bis zu dem nächsten aufregenden Ereignis auszulassen. Dabei wird mit einer relativen Angabe deutlich gemacht, um welchen Zeitraum es sich handelt, damit die Zuhörer den Ausführungen folgen können. 

Konflikt zwischen zwei Linearisierungskriterien (Schütze 1987, S. 278, Zeile 34-36): 

"(...) und dann sagt Hermann, also dann stand da einmal wieder ein Dorf in lateinischen /Stadt/ in l-sprachigen Buchstaben angeschlagen, Hermann sagt, da fahren wir jetzt hin (...)" 

Der Einschub zwischen dem ersten Ansatz, die Äußerung Hermanns wiederzugeben, und dem zweiten Anlauf, auf den dann auch die direkte Rede folgt, wird gemacht, weil die Sprecherin plötzlich feststellt, dass sie etwas für das Verständnis von Hermanns Worten Wesentliches bisher vergessen hat, ohne das niemand verstehen kann, worum es in der wörtlichen Rede geht. Also macht sie einen Sprung und erklärt zuvor das Ortsschild, auf das sich Hermann beziehen wird und geht nach diesem Einschub direkt dorthin zurück, wo sie die eigentliche Erzählung verlassen hatte und nimmt die Geschichte wieder auf. Der hier gemachte Bruch war für das Verständnis unerlässlich und deshalb für die Zuhörer ein legitimes Mittel, die Linearität aufrecht zu erhalten. 


4.2 Beispiele auf Makroebene 

Der gesamte Text weist natürlich eine Struktur auf, in der Neues auf Altem aufbaut, das heißt, im Groben und Ganzen ist die Erzählung dem zeitlichen Ablauf der Ereignisse entsprechend organisiert. 

Weiterhin werden die aufeinanderfolgenden Geschehnisse immer als Resultat aus dem Vorangegangenen gesehen und auch damit erklärt; auch das kausale Element zieht sich durch den gesamten Text. 

Die sozialen Strukturen werden jedes Mal bei der Erwähnung des Partners der Erzählerin deutlich: Sie erzählt die Geschichte so, dass man merkt, dass in schwierigen Situationen die Entscheidungsgewalt und Verantwortung bei ihm lag. 

Das Prinzip der Aktivität ist ebenfalls im Gesamtzusammenhang erkennbar: Erzählt werden im Wesentlichen nur aktionsorientierte Stellen der Reise. Alles, was mit Passivität oder Warten zu tun hat, taucht entweder gar nicht oder nur stark gerafft auf. Das Augenmerk liegt auf Veränderung. 

Ebenso ist das Prinzip der Subjektivität durchgehend zu erkennen: Die Geschichte wird aus der ganz persönlichen Perspektive der Erzählerin gesehen - schließlich ist es ja auch ihr ganz bewusstes Anliegen, den Zuhörern zu vermitteln, wie sie diesen Urlaub erlebt hat und ihnen zu ermöglichen, ihre Gefühle nachzuempfinden. 


5 . Fazit 

Man sieht also, dass es unmöglich ist, einen Sachverhalt oder einen Prozess objektiv wiederzugeben. Wir prägen allen unseren Äußerungen unser persönliches Profil auf und verraten viel über unsere Meinung und unsere Grundeinstellung zu dem Thema, über das wir reden. Es mag nicht weiter überraschen, dass unsere Sprache nicht zu objektiven Äußerungen fähig ist, aber vielleicht prägt die Art und Weise, wie wir etwas sagen, stärker als erwartet unsere Wahrnehmung. Immerhin ist nun klargeworden, dass wir etwas nicht erst subjektivieren, wenn wir es anderen mitteilen; wir nehmen es auch selbst schon so wahr. Wenn wir z.B. ein Fass als "leer" bezeichnen, so meinen wir damit, dass es nichts enthält. Was aber bedeutet das genau? Machen wir uns eigentlich klar, dass in unserer Umgangssprache ein Fass schon dann "leer" ist, wenn es a) keine festen Stoffe und b) keine Flüssigkeiten enthält? Was ist zum Beispiel mit Luft oder anderen gasförmigen Stoffen? Spätestens wenn es um entflammbare Gase wie z.B. Methan geht, merken wir, wie wichtig und teilweise lebensnotwendig hier in bestimmten Lebensbereichen eine Differenzierung ist. Wir sehen also, wie sehr unsere sprachliche Orientierung und unser verbales Denken eine Welt von Modellen ausbildet (Lakoff und Johnson 1980). So scheint es zwar nicht weiter verwunderlich, dass sich unser Weltbild nach der Sprache, die wir sprechen, ausprägt, aber wir machen uns selten klar, von welch fundamentaler Bedeutung diese Feststellung ist. 

Es scheint wenig überraschend, dass die Art und Weise, in welche Reihenfolge wir die Dinge ordnen, über die wir reden, viel über uns und unsere Denkweise verrät; dennoch machen wir uns selten klar, in welch enormem Ausmaß diese einfache Beobachtung unsere Gedankenwelt prägt. Ich möchte daher schließen mit der erstaunlich simplen, ja geradezu trivial erscheinenden Feststellung: Wir reden wie wir denken wie wir die Welt sehen - und umgekehrt. 

Zurück Heim Nach oben Weiter


Literatur


Anderson, John R. (1989). "Kognitive Psychologie: Eine Einführung" (2. Aufl.) Heidelberg, Spektrum der Wissenschaft: 122

Brewer, W.S. and Treyens, J.C. (1981). "Role of Schemata in Memory for Places" in Cognitive Psychology, 13: 207-230 

Cook, Vivian (1991). "Second Language Learning and Language Teaching" London, Edward Arnold: 54-57 

Enkvist, Nils Erik (1981). "Experiential Iconicism in Text Strategy" in Text, 1: 97-111 

Hawking, Stephen (1989). "Eine kurze Geschichte der Zeit" Reinbek bei Hamburg, Rowohlt (Org. "A brief History of Time") 

Lakoff, George and Johnson, Mark (1980). "Metaphors we live by" Chicago & London, The University of Chicago Press: ++•++ 

Levelt, Willem J. M. (1989). "Speaking: From Intention to Message" Cambridge, Massachusetts; The MITPress: 107-160 

Schütze, F. (1987). "Das narrative Interview in Interaktionsfeldstudien I" Hagen, Fernuniversität/Gesamthochschule

Zurück Heim Nach oben Weiter