von Vinyl nach MP3

  Das Problem: die alten Schallplatten sollen in den Rechner, und zwar ohne das ganze Gerausche und Geknaster. Außerdem übersteuert der Line-in-Eingang der Soundkarte...! Aber mit intelligenter Software, genug Rechenpower und (idiotisch viel) geduldiger Arbeit lässt sich das lösen.

Im Folgenden soll also eine (momentan) optimierte Prozedur zur qualitätsschonenden Ver-MP3-ung von alten Vinylscheiben vorgestellt werden (Verwendet wird "Cool Edit Pro" von Syntrillium Software - notfalls eine alte Sharewareversion benutzen):

Aufnahme:

Schallplatte möglichst nass abspielen
Falls die Scheibe ziemlich verdreckt ist, lieber 1-2 Durchläufe Nassabspielung zur Reinigung durchlaufen lassen, bevor die Aufnahme mitgeschnitten wird. Schallplatten vertragen übrigens auch warmes Spülwasser mit Pril - nur dann bitte schön klar nachspülen.

Trittschall: Trampeln und Türenknallen vermeiden!
Obacht: Auch laute Lautsprecherboxen verursachen Schwingungen im Boden, der sich auf den Plattenspieler überträgt - besonders bei Holzfußboden.

die Aufnahme am Anfang und am Ende ordentlich überhängen lassen - ist wichtig für späteres Entrauschen

Nachbearbeitung:

De-Clipping:
Dies ist leider oft unumgänglich, da viele Soundkarten nicht in der Lage sind, den (immerhin regelbaren) Line In-Eingang so weit herunterzudrehen, dass ein Überspielsignal vom normalen HiFi-Verstärker nicht übersteuert! Da fragt man sich natürlich, wozu der Eingang überhaupt regelbar ist...!?!

WICHTIG: Falls benötigt, muss das De-clipping unbedingt als Erstes stattfinden!
Nach jeder Amplitudenmanipulation stimmen die verclippten Stellen auf der Maximalamplitude nicht mehr - dazu gehört ganz besonders das Normalisieren mit "Bias Adjust"! Dies ist zwar nötig für späteres Entrauschen, darf aber hier noch nicht erfolgen.

=>"Effects / Noise Reduction / Restore clipped Audio"

"input attenuation" hängt vom Maß der Ver-clip-pung ab und sollte so niedrig wie möglich, aber so hoch wie nötig ausfallen. Werte zwischen 5 und 15 dB sind normal (am besten an der lautesten Stelle kurz antesten).

"Overhead" und "minimum run size" können bei 1 bleiben.

"FFT size": 30. Diesen Wert sollte man manuell kontrollieren; die Automatik führt oft zu fehlerhaft rekonstruierten, massiven Spitzen, die nicht dem Verlauf des umliegenden Signals folgen. Werte von 8 (Minimum) bis 32 haben bei mir gut funktioniert - ggf. ist im Einzelfall etwas Anpassen nötig.
Generell gilt: kleinere Werte führen zu weniger Spitzen (wahrscheinlich aber auch zu niedrigerer Gesamtqualität?).

Das Signal sollte nun an keiner Stelle mehr oben oder unten anstoßen, wird dafür aber insgesamt ziemlich leise sein. Die Spitzen wurden zwar geglättet, ragen aber immer noch zu weit aus dem Normalsignal heraus, um bei herkömmlichem Normalisieren eine brauchbare Hörlautstärke zu ergeben. Die Lösung: ein Limiter.

Normalisieren:

=>"Effects / Amplitude/ Normalize"

"Normalize to:" 98% (höhere Werte führen zu Übersteuerungsanzeige, also lieber ein wenig Luft lassen)

"L/R equally": kann auch deaktiviert werden, wenn das Signal asymetrisch ist

"DC bias adjust": aktivieren und auf 0%
Diese Prozedur ist vom Blickwinkel der Lautstärke nicht nötig, wird aber für das folgende Entrauschen (s.u.) gebraucht.

Entrauschen:

(vgl. bereits vorgenommene, ältere Anleitungen)

da die Rauschfahnen am Anfang und Ende einer Schallplattenseite recht kurz sein können (besonders bei 7"-Singles), sollte man hier nicht zu scharf entrauschen: ich empfehle eine Reduktion um max. 20 dB - das reicht meist völlig aus und bildet noch keine Artefakte (s.u.), wenn die Rauschprobe unsauber war (was bei Schallplatten fast zwangsläufig der Fall ist).
Um trotz allem eine möglichst saubere Rauschprobe zu bekommen, sollte man das Knistern im Vor- oder Endspann - so weit möglich - manuell herausschneiden (markieren und "delete"), so dass man eine Passage ohne schärfere Knackser erhält.

Hard Limiting:

=>"Effects / Amplitude/ Hard Limiting"

"limit max. amplitude" bleibt bei 0,1

"Boost input by": sollte in der Nähe des Wertes liegen, um den das Signal zuvor beim De-clipping reduziert wurde (je nach Geschmack auch weniger, falls das De-clipping sehr drastisch war)

"look ahead time": 20 ms (möglichst groß)

"release time": 40 ms (möglichst kurz)

"link left and right" sollte egal sein, aber man kann's ja ausschalten, damit kanalungleiche Spitzen nicht auf den anderen Kanal "rüberschwappen".
Das Signal sollte jetzt die zu Verfügung stehende Dynamik sinnvoll ausnutzen, d.h. es sollte auch nicht zu sehr auf eine Normlautstärke glattgebügelt sein - wenn die Wellenformansicht nur noch ein solider Kasten ist, war's zu viel. Viel zu viel.

Knistern und Knacken entfernen:
...bis hier hin war's noch harmlos. Da Knastern aber ein völlig unregelmäßiges Störgeräusch ist, muss der betriebene Aufwand für dessen Entfernung ziemlich hoch sein. Außerdem besteht hier mehr als bei allen anderen Schritten die Gefahr der Artefaktbildung, d.h. der Verfremdung des Musiksignals. Also immer schön vorsichtig vorgehen!

=>"Effects / Noise Reduction / Remove Clicks and Pops"

"Sensitivity" und "Discrimination": diese Werte bestimmen, wie intensiv nach Knacksern gesucht werden soll bzw. wie schwach sie noch als solche erkannt werden sollen.
Sollte sich zwischen 10 (starke Wirkung) und 40 (schwache Wirkung) bewegen,
30 reicht normalerweise vollkommen. (siehe auch unten: "multiple passes")

am wichtigsten: "Auto Find All Levels" (analysiert die markierte Passage);
muss bei jedem neuen Abschnitt neu durchgeführt werden!

"multiple passes": 15 (für erhöhte Genauigkeit - dauert aber auch deutlich länger)
Merke: Lieber schächere (höhere) "sens./disc."-Werte und dafür mehr Durchläufe: So werden nur die wirklich störenden Knackser analysiert und beseitigt, diese dafür aber richtig. Unnötig scharfe sens./disc.-Werte führen zu sehr intensiver Analyse von schwachen Störgeräuschen, die meist ohnehin im Nutzsignal untergehen. Zeitersparnis durch weniger Durchläufe bringt nicht viel führt hier zu schlechterer Entfernung der Knackser. Die mehrfachen Durchläufe dagegen werden nach hinten hin immer schneller und bearbeiten nur noch das, was die vorangegangenen übriggelassen haben!

"run size": 25

"okay" klicken und einen Tee trinken gehen ;-)

wichtig: Kontrollhören!
Bei leisen Passagen, in denen sich die Knackser deutlich vom Nutzsignal abheben, funktioniert diese Prozedur (auch bei lauten Knacksern und starken sens./disc.-Werten bis 10) normalerweise sehr gut und produziert keine hörbaren Verzerrungen.
Je lauter (und schrammeliger) aber das Nutzsignal wird, desto näher rückt es an die Störgeräusche heran und kann entweder nicht mehr richtig entfernt werden oder es entstehen deutlich hörbare Artefakte - meist sogar leider beides.
Daher empfiehlt es sich ggf., je nach Signal nur leise Passagen zu ent-knistern und die lauten (in denen das Knacksen meist ohnehin untergeht) unangetastet zu lassen - oder jeweils die sens./disc.-Werte anzupassen: 10 (stark) für leise Passagen, 30 (schwach) für laute.

Anhaltspunkt für Verluste im Audiosignal: Der Sound klingt brüchig wie ein schwächer werdendes Magnetband.
Sofortige Gegenmaßnahme: UNDO und mit schächeren sens./disc.-Werten nochmal!

Nachbessern: Zum detaillierten Kontrollhören empfiehlt sich die fortlaufende Wiedergabe (Bildschirmausschnitt scrollt mit) mit Spektraldarstellung bei einer Fenstergröße von 10-20 Sekunden.
Findet man übriggebliebene Knackser: Anhalten und Bereich markieren, mit "F2" die letzte verwendete Funktion wieder aufrufen und mit schärferen sens./disc.-Werten (je 10, bei 5 Wiederholungen) nochmal über die Stelle drüberbügeln. ACHTUNG dabei: das neue "Auto Find All Levels" nicht vergessen!!

Trittschall entfernen:

Auch bei vorsichtiger Plattenaufnahme ist ein Grundpegel an Rumpelgeräuschen  unvermeidbar. Der größte Teil dieser Störgeräusche liegt zwar unterhalb der Hörbarkeitsschwelle von 20 Hz, kann aber an der Auslenkung der Basstöner-Membran der Lautsprecherboxen optisch nachvollzogen werden. Weil dieser sub-sonische Schall z.T. erhebliche Amplituden erreicht, stellt er eine unnötige Belastung der Lautsprecher dar. Und da man ihn sowieso nicht hören kann: raus damit! Viele HiFi-Verstärker haben daher einen sog. "subsonic filter" für Schallplattenwiedergabe eingebaut, um die Boxen zu schonen.
Hier machen wir dies mit:

=> "Effects / Filters / FFT Filter", Preset "Kill the subharmonics"

die untere Frequenzgrenze von 30 Hz auf 25 oder 20 herunterregeln, die restliche Einstellungen bleiben.

Das war's mit dem kritischen Teil. Die fertigen WAVs gehen dann nach dem Versäubern in den LAME (WAV=>MP3) und von da in den ID3tag (Editieren der ID3-Tags).

Have fun. Keep rocking.

© 2006 Uwe R. Hoeppe

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