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Rassen

Zur Benutzung dieses Begriffes ist es im Deutschen leider unumgänglich, eine klare Definition vorauszuschicken: so benutze ich den Begriff hier synonym mit dem englischen "race", welches eigentlich der "ursprünglichen" Bedeutung des deutschen Begriffs entsprechen sollte, bevor dieser durch national­sozialistische Allmachts­fantasien für mehrere Generationen unbrauchbar gemacht wurde. Während man in der englisch­sprachigen Welt nur wenige irrationale Berührungs­ängste mit dem Wort "race" verbindet, ist der Begriff "Rasse" im Deutschen leider immer noch ein Aussätziger, den man lieber meidet1. So kommt es, dass die (ursprüngliche) Semantik dieses Begriffs von Umschreibungen wie "ethnische Gruppe" aufgenommen wird, ohne dabei ihren Inhalt zu modifizieren - aber wenigstens besteht damit wieder eine Möglichkeit, einen zu bezeichnenden Sachverhalt politisch korrekt zu benennen. Bei allen berechtigten Hinweisen darauf, dass hier natürlich keine scharfen Abgrenzungen vorgenommen werden können, muss es aber auch erlaubt sein, darauf zu verweisen, dass man mit der gleichen Begründung Begriffe wie "Tag" und "Nacht" abschaffen könnte, da auch hier fließende Übergänge vorliegen. Um daher deutlich zu machen, worauf ich mich mit diesem Terminus beziehe, orientiere ich mich an biologisch-zoologischen Definitionen des Begriffes: Demnach sind Rassen als genetisch distinkte Populationen einer gemeinsamen Spezies zu verstehen2. Damit sind sie genetisch kompatibel3, was bedeutet, dass sie in der Lage sind, fortpflanzungsfähige Nachkommen zu zeugen (In Abgrenzung dazu bildet die Kreuzung zwischen Pferd und Esel einen Grenzfall, der zwar lebensfähigen, aber sterilen Nachwuchs produziert: ein Maultier).

Wendet man diese Definition nun auf Tolkiens Welt an, so wird in der Entstehung der einzelnen Rassen Ardas natürlich deutlich, dass das Modell des evolutionär gewachsenen Abstammungssystems für sie nur sehr begrenzt anwendbar ist, weil sie fast alle durch direkten Einfluss höherer Wesen geschaffen wurden. In jedem Fall ist hier aber das wichtigste Kriterium für die Anwendung dieses Begriffes die genetische Kompatibilität: so beschreibt Tolkien z.B. Half-elves (wie Eärendil, der einen menschlichen Vater und eine elbische Mutter hatte4) und weist auf die Verwandtschaft zwischen Hobbits und Menschen hin5. Besonders in MERP ist dieser Aspekt aufgegriffen und zu einem verzweigten System verschiedenster Durchmischungen ausgearbeitet worden: so sind dort auch Halbzwerge, Halborks und Halbtrolle anzutreffen6 - auch im geplanten Ork-Computerspiel sollen Halborks auftauchen7, auf die Tolkien selbst nur spärliche Hinweise gibt. Zwar behauptet Helms (offenbar in Anlehnung an Treebeard), die Uruk-hai seien halb-menschliche Orks - gleichwohl ohne dies belegen zu können,

"...Saruman has even gone so far as to crossbreed men and Orcs to form the hideous Uruk-hai."8

[Treebeard]: "It is a mark of evil things [...] that they cannot abide the sun, but Saruman's Orcs can endure it, even if they hate it. I wonder what he has done? Are they Men he has ruined, or has he blended the races of Orcs and Men?"9,

aber es spricht nicht viel dafür: Merrys Beschreibung der "half-orcs", wie Aragorn10 und die Rohirrim11 sie nennen, lässt vermuten, dass diese keine Uruks sind, denn diese waren Merry und Pippin aus ihrer Gefangenschaft bekannt und hätten sicherlich von den Hobbits identifiziert werden können. Außerdem stellen beide Ähnlichkeiten der "half-orcs" aus Isengard mit dem "Southerner at Bree"12 fest, was ebenfalls auf menschliches Erbgut hinweist. Darüber hinaus sind die Uruks keine genuine Züchtung Sarumans, sondern stammen aus Mordor13 und damit von Sauron14. Trotzdem wird im Streit der Uruk-hai mit den "normalen" Orks deutlich, wie die Ersteren weit weniger empfindlich gegen Tageslicht sind15, also ebenfalls menschlichen Einfluss suggerieren. So oder so bleibt sogar Aragorns Aussage eine fehlbare Quelle, was Tolkien zweifellos beabsichtigt hat. Die Tatsache, dass sogar MERP sich hier nicht auf Spekulationen einlässt und die Uruks als "reine" Orks getrennt von den Halborks16 beschreibt, weist darauf hin, dass das Verhältnis von Uruk-hai und Half-orcs in die Grauzone von Vermutungen gehört, die Tolkien als mystische Aura der "historischen Überlieferung" dient. So beschreibt er die Uruk-hai lediglich als größere und stärkere Orks, schweigt sich aber über deren genaue Natur aus. Daher ist nicht vollständig zu klären, ob er solche Kreuzungen vorgesehen hatte oder nicht: Zwar spricht er z.B. auch von "black men like half-trolls"17, daraus geht aber nicht hervor, ob die zitierten Halbtrolle in Mittelerde existieren sollten oder ob sie nur ein Gedankenkonstrukt für den obigen Vergleich waren. Es ist aber durchaus denkbar, dass Tolkien den Brutstätten Morgoths, Saurons und Sarumans die unwahrscheinlichsten Kreuzungen zutraute: in Bezug auf die Olog-hai macht er z.B. deutlich, dass diese zwar hauptsächlich Trolle sind, aber niemand die genauen "Zutaten" dieser Züchtung kennt18. So sind in jedem Fall künstliche Durchmischungen - zu denen die Halbelben nicht zählen - bei Tolkien stets das Werk der dunklen Herrscher, und seine Abneigung für überzüchtete Haustier-Rassen19 bestärkt diesen Standpunkt. Insofern ist anzunehmen, dass er solche Konzepte wie Halbzwerge als eher widernatürlich angesehen hätte. Besonders in Bezug auf die Zwerge weist er darauf hin, dass sie - im Gegensatz zu Menschen und sogar Elben - nur selten von Morgoth oder Sauron korrumpiert werden konnten20.

Auch wenn Tolkiens Dwarves damit (und auch durch ihre vollkommen getrennte Herkunft) eine isolierte Position unter den Völkern Mittelerdes einnehmen, so teilen sie doch immerhin genügend kulturelle Aspekte mit Elben und Menschen, um in diesem Sinne als "Rasse"21 aufgeführt zu werden. Interessanterweise bemühen sich viele Rollenspielsysteme um Verwandtschaften (also genetische Kompatibilität) zwischen einzelnen Rassen: Konzepte wie Halborks tauchen z.B. auch in "The Bard's Tale"22 und AD&D23 auf - in D&D-basierten Systemen gelten sogar Halblinge, Elfen und Zwerge als "demi-human"24, um deren Gemeinsamkeiten zu betonen.

Zum Gebrauch der englischen und deutschen Begriffe im Folgenden ist zu beachten: Ich verwende vor allem übersetzbare Allgemeinbegriffe wie "men" oder "dwarves" auch mit ihren deutschen Entsprechungen, weil ein konsequenter Gebrauch der englischen Termini besonders in deklinierten Positionen den Textfluss merklich beeinträchtigen würde. Die semantische Entfremdung vieler Tolkien'scher Begriffe betrifft die Übersetzung genauso, ob nun von "Men" oder "Menschen" die Rede ist. So erleiden Übersetzungen wie "orcs" zu "Orks"25 keinerlei inhaltlichen Verlust, haben aber den Vorteil, grammatikalisch assimiliert zu sein - und sind damit normal flektierbar, um sich in die deutsche Text­umgebung einzupassen. Dabei ist ein einzelnen Fällen, z.B. bei "Elves" zu "Elben", die Übersetzung sogar besser geeignet, da sie eine Abweichung vom allgemeinen Sprachgebrauch deutlich macht. Indem Tolkien aus Begriffen wie "goblins", "elves" oder "dwarfs"26 Teilaspekte der Wortsemantik entlehnte und mit Aspekten anderer Begriffe kombinierte, prägte er seine eigenen Begrifflichkeiten: So sind seine Elben keine Elfen, seine Orks keine Kobolde, und vor allem sind Hobbits keine Zwerge. Im Folgenden wird deutlich, wie Tolkien versuchte, die Wesen Mittelerdes nur teilweise (in sehr ausgewählten Aspekten) an bekannte Fabelwesen anzulehnen27.

Dies findet sich alleine schon darin wieder, dass er die meisten Rassen groß schreibt und sogar allgemein bekannte Begrifflichkeiten wie "Dwarves" oder "Men" zum Eigennamen erhebt und damit deutlich macht, dass er hier eine eigene Terminologie benutzt, deren Semantik vom normalen Sprachverständnis des Lesers abweichen kann:

"Elves may thrive on speech alone, and Dwarves endure great weariness; but I am only an old hobbit, ..."28

Hier wird deutlich, wie Tolkien die Bezeichnungen für eine ganze Gruppe zum terminus technicus macht; bei einzelnen Personen dagegen wendet er wieder die allgemeine Kleinschreibung der englischen Orthografie an, vermutlich um das Individuum nicht zu stark in den Vordergrund zu stellen. Interessanterweise wird den orcs dieses Privileg oftmals nicht zuteil29. Offenbar hielt Tolkien das Fußvolk des Bösen nicht für gleichwertig mit den Rassen Ilúvatars und Aulës und demonstriert dies durch ihre vermehrte Kleinschreibung.

Betrachtet man die Entstehungen der einzelnen Rassen, so zeigt sich hier der Zwiespalt Tolkiens, einerseits eine vollständige, transparente Mythologie zu schaffen und andererseits dabei doch nicht alles restlos aufzuklären, um seiner Welt ein Flair von geheimnisvoller Mystik zu erhalten. So erleben wir zwar den "Urknall" von Tolkiens Universum in der Ainulindalë (Musik der Ainur)30 und können Ilúvatar und seinen Valar bei der Erschaffung der Welt quasi über die Schulter schauen, doch tauchen später immer wieder unerklärliche Phänomene auf, wie z.B. Ungoliant31 oder Tom Bombadil32, deren Herkunft nebulös bleibt: So kann in einigen Fällen nur gemutmaßt werden - was Tolkien damit zweifellos beabsichtigte. Ich werde im Folgenden also die wichtigsten Rassen Mittelerdes genauer untersuchen:

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1So wird in der deutschen Übersetzung von MERP etwas umständlich mit "Kultur/Volk" oder "Kultur/Rasse" das umschrieben, was im Original schlicht "race" heißt.

vgl. dazu: Charlton (1995), p.31 und Fenlon (1986), pp.19.

2Walker (1995), p.734.

vgl. auch: Mish (1994), p.961: "3race"

3Walker (1995), p.834: "species (Biol.). A group of individuals that (1) actually or potentially interbreed with each other..."

4Tales, p.556: "Son of Tuor [man] and Idril Turgon's daughter [elf],..."

5Letters, #131, p.158.

6Charlton (1995), p.102. Die Attributierung "Halb-" bezieht sich in allen Fällen auf menschlichen Einfluss.

7http://www.sierrastudios.com/games/orcs/ (12. Juli 1999).

8Helms (1975), p.79.

9LotR II, pp.90-91.

10LotR II, p.212.

11Tyler (1979), p.274.

12LotR II, p.212.

13Die ersten Uruks verließen Mordor bereits im Jahr 2475 des 3. Zeitalters. Day (1993), p.236.

14LotR I, p.421: [Gandalf in Moria]: "There are Orcs, [...] And some are large and evil: Black Uruks of Mordor."

15LotR II, p.59: [Orc]: "But we can't run in the sunlight." [Uruk]: "You'll run with me behind you," said Uglúk. "Run!"

16so auch Day (1979), p.128.

17LotR III, p.143. (meine Unterstreichung)

18LotR III, Appendix F, p.521: "That Sauron bred them [the Olog-hai] none doubted, though from what stock was not known" und weiter: "Trolls the were, but..."

19Letters, #219, p.300: "...to me Siamese cats belong to the fauna of Mordor,..."

20LotR III, Appendix F, p.521: "...few [Dwarves] ever served the Enemy of free will,..."

21Tolkien selbst benutzt genau diese Terminologie: LotR III, Appendix F, p.521: "The Dwarves are a race apart." (meine Unterstreichung)

22Cranford (1985-88).

23Cook (1989).

24Brown (1992), pp.14-17, Cook (1989).

25Darüber hinaus hat Tolkien selbst das "c" in Orcs bei der Ableitung zu "Orkish" durch "k" ersetzt, um die Aussprache des [k]-Lautes vor dem hellen [i]-Vokal zu erhalten. Vgl. dazu LotR III, Appendix F, p.520: "Orkish speech" etc., sowie Katzer (1999): "Tolkien FAQ German - F) Feinde".

26Hinweis zur Schreibung: in Anlehnung an Tolkiens Schreibweise beziehe ich mich mit großgeschriebenen Elves und Dwarves als "proper names" explizit auf Tolkiens Konzepte, bei kleingeschriebenen "elves" und "dwarfs" auf allgemeine überlieferte Vorstellungen.

27vgl. hierzu Katzer 1999(1), und Loos 1999.

28LotR I, p.353.

29z.B. LotR III, p.208: "..., the orcs must be at war with themselves..."., aber LotR II, p.52: "...a great company of Orcs." Die Schreibung ist nicht einheitlich, es scheint aber, dass Tolkien die Großschreibung vor Allem für die größeren, stärkeren Ork-Rassen wie die Uruk-hai benutzt.

30Silmarillion, p.15.

31Silmarillion, p.85.

32LotR I, pp.180-181.

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