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Gandalf

Zu Tolkiens Lebzeiten war Gandalfs1 Herkunft noch ein Rätsel und wohlgehütetes Geheimnis. Erst mit der posthumen Veröffentlichung des Silmarillion stellte sich heraus, dass er einer der Maiar sein muss. Mittels der Verbindung von zwei völlig getrennten Textstellen lässt sich der erste - und bis zu den Tales auch der einzige - Nachweis innerhalb von Tolkiens Werk führen, dass der "graue Pilger" ein direkter Abgesandter der Valar ist:

LotR [Faramir zitiert Gandalf mit:] "Olórin I was in my youth in the West that is forgotten"2

Silmarillion: "Wisest of the Maiar was Olórin."3

Auch hier gründen sich die Erkenntnisse über die Herkunft einer Figur eher auf Hinweise und Aussagen von Dritten als auf verlässliche Zusagen des Erzählers selbst. Erst in den Tales taucht dann endlich ein verbindliches Kapitel zu den Istari (Wizards) auf, aus dem eindeutig hervorgeht, dass die fünf Magier, zu denen auch Saruman und Radagast gehören, Botschafter der Valar aus Aman sind4. Und obwohl auch dort immer noch relativierende Zweifel zu finden sind5, ob sie damit automatisch zu den Ainur gehören, bestand für MERP natürlich die Notwendigkeit, sich festzulegen. Von daher findet man dort (und in METW) keinerlei Zweifel daran, dass die Wizards Maiar sind. Die konsequente Anwendung von Tolkiens Weltordnung lässt im Übrigen angesichts der "Beweislage" auch gar keine andere Folgerung zu.

Da aber nur anhand des LotR Gandalfs Natur noch sehr geheimnis­umwittert war, ließ Tolkien sich außerhalb seines Werkes zur Klarstellung immerhin dazu bewegen, Gandalf in bekannte Muster einzuordnen: "...he [Tolkien] said, unhesitatingly, 'Gandalf is an angel'"6. Zur Präzisierung spricht er auch von "guardian Angels"7. Daraus wird deutlich, warum Gandalf außer seiner Helferrolle keinerlei eigene Interessen zu verfolgen scheint. Außerdem macht Tolkien an einigen Stellen sehr deutlich, dass Gandalf kein sterblicher Mensch ist, besonders mit seinem Schicksal in Moria nach dem Kampf gegen den Balrog.

Gerade an dieser Stelle wird aber das Problem des secondary belief deutlich: In dem Bestreben, Gandalfs ungeahnte Stärke zu demonstrieren, lässt Tolkien ihn ganze 10 Tage lang8 [!] tief unter der Erde, "where time is not counted"9, mit dem Balrog kämpfen - und das Ganze auch noch unter Wasser. Für manchen Leser mag der Autor hier den Bogen überspannt haben, so dass die Glaubwürdigkeit der Erzählung darunter leidet. Die Konsequenz wäre dann, den secondary belief an das Niveau eines Märchens anzupassen - was die Ernsthaftigkeit des Epos wiederum beeinträchtigen würde. Gerade diese sensible Stelle wird in "Bored of the Rings" daher erbarmungslos demontiert, indem Gandalfs Alter Ego Goodgulf sich um einen Bericht herumdrückt, indem er einige offensichtliche Lügen­geschichten auftischt und andere Stellen kommentarlos überspringt:

"»You have not yet told us how you survived the clutches of the ballhog, lived through the flames, recovered from the fall into the boiling pit, and escaped the bloodthirsty narcs to find us here!« [...] [they] gathered around the radiant sage to hear the tale of his miraculous, impossible salvation. »Well,« began Goodgulf, »once out of the pit...« [Kapitelende]"10

Bei allem Respekt für das Original wird hier doch sehr deutlich, wie die Parodie Schwachstellen der Vorlage aufgreift, um sie durch Überspitzung hervorzuheben. Betrachtet man nun MERP als Vergleich, so stellt man fest, dass Tolkiens Schilderung auch innerhalb von Mittelerde nicht als realistisch gewertet werden kann. Passagen wie Gandalfs Kampf gegen den Balrog entziehen sich der Logik der Sekundärwelt insofern, als dass sie sehr stark den Willen des Autors erkennen lassen: Gandalf ist dazu bestimmt, aus dieser Konfrontation geläutert hervorzugehen, und dieses Schicksal ist als höhere Gewalt zu verstehen.

Ebenso wie bei den Hobbits ist an Gandalf also seine Entwicklung im LotR erkennbar: Besonders durch sein Opfer in Moria wächst er über sein altes Ich hinaus. War er anfangs Saruman noch unterlegen, so steigt er in MERP von Stufe 80 (der Graue) nach 120 (der Weiße) auf und überrundet damit den gefallenen Wizard (Stufe 100)11, um dessen Platz als Oberster des Ordens einzunehmen. Darüber hinaus weist Fenlon sehr richtig auf die Zuordnung der Istari zu ihren "vorgesetzten" Valar hin12: Saruman als Bote Aulës13 weist die technische Begabung seines Mentors auf, der er (genau wie Sauron) aber verfällt. Gandalf dagegen wird von Manwë gesandt und teilt nicht nur dessen Qualitäten, sondern auch seine Schwäche, verstelltes Böses zu erkennen: So wie Manwë sich von Melkors geheuchelter Reue täuschen lässt14, erkennt Gandalf Sarumans Abfall vom Auftrag der Valar viel zu spät, so dass dieser ihn sogar gefangennehmen kann15, ohne dass Gandalf etwas geahnt hätte. Hier zeigt sich, wie genau und gewissenhaft die Autoren von MERP Tolkiens Text begegnen. Im Falle von Radagast wird sogar darauf verwiesen, dass er mit seinen verbündeten Tieren (vor allem Vögeln) eine Art Spionagenetz organisiert habe und seine Aufklärung dafür verantwortlich sei, dass die großen Adler so oft genau im richtigen Moment dort erschienen, wo sie gebraucht wurden16. Eine solche Auslegung scheint mir keine Überdehnung des Textes, und Tolkien hätte sie vermutlich auch nicht abgestritten.

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1Beschreibung: LotR I, p.44.

2LotR II, p.347.

3Silmarillion, p.34.

4Tales, "4/II: The Istari", pp.502-518.

5So verweist Christopher Tolkien mit einem vorsichtigen "It appears indeed [...] that the Istari were Maiar" auf die zwangsläufige Schlussfolgerung. Tales (Notes), p.519.

6Fuller, Edmund: "The Lord of the Hobbits: J.R.R. Tolkien", in: Isaacs (1968), p.35.

7Letters, #131, p.159.

8LotR III Appendix B, p.469: vom 15. bis zum 25. Januar 3019 des Dritten Zeitalters kämpft Gandalf mit dem Balrog.

9LotR II, p.128.

10Beard (1993), p.99.

11Fenlon (1993), p.91.

12Fenlon (1993), p.80.

13Tales, p.508. Curumo ist einer der anderen Namen Sarumans. Vgl. auch: Index der Tales, p.551.

14Silmarillion, p.76.

15LotR I, p.341.

16Fenlon (1993), p.86.

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